Körpertherapie
„Nichts Menschliches ist völlig unleiblich.“
Merleau-Ponty
Der Körper findet in der gängigen Psychotherapie meist wenig Beachtung. Dies ist verwunderlich, da es ja unser Körper ist, mit dem wir die Welt und alles, was wir erleben, zunächst wahr- und aufnehmen. Aus diesem Grund bekommt das körperliche Empfinden in meiner therapeutischen Arbeit gleichermaßen Aufmerksamkeit wie das seelische.
Die körperpsychotherapeutische Arbeit findet jedoch ohne Berührung statt. Es geht vielmehr um die Einbindung von Körperempfindungen in Bezug auf die psychische Erkrankung. Eine psychische Erkrankung hat immer eine Ursache, entweder eine physische oder eine psychische. Ist eine physische Erkrankung, wie zum Beispiel eine Schilddrüsenunterfunktion, ausgeschlossen, beginnt meist die psychotherapeutische Behandlung. Doch wird im Laufe der Therapie eine seelische Ursache ausgemacht, bedeutet dies nicht, dass der Körper an der Erkrankung unbeteiligt ist. Dies möchte ich an einem Beispiel verdeutlichen: Erlebt ein Mensch einen großen Schrecken, zieht sich der ganze Körper zusammen, alle Muskeln spannen sich ruckartig an, die Atmung stockt, der Körper ist in einem Schockzustand. In einem gesunden Zustand entspannt sich der Körper wieder, ohne dass der Mensch weiter von diesem Erlebnis beeinträchtigt bleibt. Das Erleben einer belastenden Situation, wie hier am Beispiel eines Erschreckens, ist zu allererst körperlich. Bei einer psychischen Erkrankung kann es nun der Fall sein, dass sich der Körper noch nicht aus der Situation, die ursächlich für die Erkrankung ist, befreit hat. Verharrt der Körper in dem damaligen Erleben, so sendet er dem Gehirn dauerhaft Signale, dass die Gefahrensituation weiterhin besteht. Der Körper muss in dieser Situation in die Psychotherapie mit eingebunden werden. Dies erfolgt mit körperlichen Aufmerksamkeitsübungen, die das körperliche Empfinden zunächst verständlich machen und dem Körper die Möglichkeit geben, sich von der damaligen Situation zu lösen. Zu Beginn der körperpsychotherapeutischen Arbeit setze ich meist die Methode des Focusing¹ ein, welche den Patienten/die Patientin eine Verbindung zum körperlichen Empfinden hinsichtlich einer psychischen Beeinträchtigung oder auch generell zu einer schwierigen Lebenssituation herstellen lässt. Auf Basis der daraus gewonnenen Erkenntnisse ergibt sich die weitere körpertherapeutische Arbeit.
Den philosophischen Hintergrund meiner therapeutischen Arbeit bildet die Philosophie Helmuth Plessners (1892 — 1985). Die klassische Einteilung in Körper und Geist versucht Plessner mit der Leibphilosophie zu überwinden. Häufig werden Körper und Geist in einen starken Gegensatz zueinander gesetzt, wodurch jedoch fraglich wird, wie sie überhaupt verbunden sind und aufeinander einwirken.
Der Begriff Leib meint insofern nicht den bloßen Körper, sondern den empfindenden Körper, das heißt, der Körper, der ich selbst bin. Das Leib-Sein kann der Mensch nur an seinem ihm eigenen Körper erleben. Das Besondere am Mensch-Sein ist jedoch, dass sich der Mensch reflektieren kann, er kann sich von „außen“ betrachten, kann somit eine Distanz zu sich selbst bekommen. Diese menschliche Fähigkeit, die mit dem Begriff Geist bezeichnet werden kann, ist in das Leib-Sein eingebettet. Plessner bezeichnet diese Art von äußerem Standpunkt, den der Mensch zu sich selbst beziehen kann, als exzentrische Positionalität. In der exzentrischen Positionalität rückt der Mensch auf Distanz zu seinem Leib, er ist der Leib in diesem Moment nicht mehr, er hat ihn. Laut Plessner lebt der Mensch dauerhaft in der Verschränkung von Leib-Sein und Leib-Haben. Insofern wird der Mensch als eine unteilbare Einheit betrachtet.
In meiner therapeutischen Arbeit beziehe ich Plessners Philosophie auf die Praxis und strebe ein Gleichgewicht von Körper-Sein und Körper-Haben an.
Der Leib stellt darüber hinaus einen Resonanzraum dar, der auf seine Umwelt und auf alles, was er erlebt mit „Schwingungen“ reagiert, die wir als Emotionen empfinden. Emotionen können daher als leiblich bezeichnet werden. Daraus ergibt sich, dass die zentrale Arbeit an Gefühlen und Erlebnissen in der Psychotherapie ohne Einbeziehung des Leibes unvollständig ist.
[1] Psychotherapieverfahren, welches von dem Philosophen Eugene T. Gendlin entwickelt wurde.